Policy Brief

08. Juni 2022

Sanktionen gegen Russland

Fünf Lehren aus dem Fall Iran
A worker stands near a pipe at the construction site of the Nord Stream 2 gas pipeline in Russia
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Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat zu den umfassendsten Wirtschaftssanktionen geführt, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs gegen ein Land dieser Größe verhängt wurden. Doch Sanktionen sind als Mittel der Außen- und Sicherheitspolitik nur dann effektiv, wenn sie in eine nachhaltige politische Strategie eingebettet werden, die die Kosten-Nutzen-Kalkulation für beide Seiten bedenkt. Ein Blick auf die Sanktionen gegen Iran kann dabei helfen, Lehren für den Umgang mit Russland zu ziehen.

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Empfehlungen

Sanktionen gegen Russland müssen nachhaltig, klar und durchhaltbar sein

Sanktionen wirken nur in Kombination mit weiteren Instrumenten

Sanktionen sollten stets skalierbar, sprich ver- und entschärfbar sein

Kollateralschäden von Sanktionen müssen bedacht werden

 

Die russische Invasion in der Ukraine hat massive Sanktionen westlicher Staaten nach sich gezogen. Aufgrund der Bedeutung Russlands für die globalen Rohstoffmärkte sind jedoch bislang wichtige Sektoren der russischen Wirtschaft von den europäischen und US-amerikanischen Sanktionen ausgenommen, darunter der Rohstoff- und Bankensektor. Die Ausnahmen dienen dazu, hohe Kosten für westliche Staaten zu begrenzen, um die Unterstützung für Sanktionen in den eigenen Bevölkerungen nicht zu verlieren. Russland ist nicht nur ein wichtiger Lieferant von Öl, Gas und Kohle, sondern auch von Metallen wie Nickel und Palladium sowie Düngemitteln und Getreide. Für Deutschland und andere EU-Staaten ist es der zentrale Lieferant von Erdgas, das sich schwerer auf den Weltmärkten ersetzen lässt als Kohle und Öl. Damit haben Sanktionen gegen Russland nicht nur Auswirkungen auf die sanktionierenden Staaten, sondern auch auf die Weltwirtschaft.

Die Erfahrungen aus über einem Jahrzehnt harter Sanktionen gegen Iran können helfen, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, um die Sanktionen gegenüber Russland wirksamer zu gestalten, ohne die Unterstützung für diese in westlichen Gesellschaften zu verlieren. Auch wenn sich der Fall Iran im Hinblick auf seine Größe sowie politische, wirtschaftliche und militärische Rolle in der Welt stark von Russland unterscheidet, gibt es doch vergleichbare Muster. Wir vertreten die These, dass Sanktionen nur dann effektiv sind, wenn sie im Rahmen eines integrierten Politikkonzeptes eingebettet werden und skalierbar sind: im Sinne von Erleichterungen bei kooperativem Handeln und Verschärfungen bei weiterer Eskalation. Hiervon unabhängig können Sanktionen nur ein Instrument von mehreren sein und sollten mit weiteren Druck- und Anreizmitteln kombiniert werden, um tatsächlich das Vorgehen des sanktionierten Staates zu beeinflussen. Gleichzeitig muss zwischen kurzfristiger Wirkung einerseits und mittel- bis langfristiger andererseits unterschieden werden. Kurzfristig sind die Effekte oft begrenzt, was ein Einlenken des betroffenen Staates eher unwahrscheinlich macht. Langfristig können die ökonomischen Schäden massiv sein, aber auch Anpassungen stattfinden. Deshalb muss die unterschiedliche Kosten-Nutzen-Kalkulation auf beiden Seiten berücksichtigt werden, mit Einfluss auf die tatsächliche Wirkung. Die vollständige Isolation eines Landes und seiner Gesellschaft wiederum führt meist zur Verfestigung bestehender autoritärer Strukturen.

Sanktionen gegen Iran und Russland

Iran wurde im Zuge des Streits um sein Atomprogramm umfassend mit Sanktionen belegt. Multilaterale Sanktionen der Vereinten Nation zielten ab Ende der 2000er Jahre besonders auf die iranische Rüstungsindustrie. Deutlich weiter gingen die jeweils unilateral verhängten EU- und US-Sanktionen. Mit dem Ziel, der Führung in Teheran Deviseneinnahmen zu versagen, richteten sich diese ab 2012 gegen die Energie- und Finanzsektoren, die petrochemische Industrie und die Zentralbank des Landes. Dabei wurden auch Auslandsvermögen eingefroren und der Handel mit Gold und wertvollen Metallen untersagt. Ferner wurde Iran vom Bankenkommunikationssystem SWIFT ausgeschlossen. 2013 sanktionierten die USA den internationalen Handel mit dem iranischen Rial sowie die Automobilindustrie, die Seefahrt und den Schiffbau.

Nach zwischenzeitlicher Aufhebung mit Abschluss des Atomabkommens setzte die Administration unter dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump im Mai 2018 nicht nur die unilateralen Sanktionen der Vorgängerregierung wieder in Kraft, sondern erweiterte diese empfindlich. Mit Sektorsanktionen belegt wurden nun auch das iranische Baugewerbe, der Bergbau, die IT-Industrie, die Metall-, Mineral- und Textilindustrie sowie die verarbeitende Industrie. Die unilateralen US-Sanktionen sind extraterritorial: Wirtschaftsakteure aus Drittstaaten, etwa aus Europa oder Asien, müssen bei Verstößen empfindliche Strafen in den USA befürchten.

In Russland wurden bereits seit 2014 Banken, Unternehmen und Einzelpersonen im Kontext der Krim-Annexion und des Krieges im Donbass sanktioniert. Ziel war es, das politische Handeln beziehungsweise die Kosten-Nutzen-Kalkulation der russischen Führung zu beeinflussen. Die Sanktionen sollten sich in erster Linie auf die politischen Verantwortlichen auswirken und negative Konsequenzen für die russische Bevölkerung vermeiden. Kritisiert wurde von ukrainischer Seite und einigen EU-Mitgliedstaaten, dass diese Sanktionen aufgrund ihres begrenzten Umfangs gegenüber der russischen Wirtschaft, Elite und Bevölkerung zu wenig Wirkung zeigten und mit weniger als 2 Prozent Reduzierung des russischen BIP eine Anpassung in kurzer Zeit erfolgte.

Die im Zuge des aktuellen russischen Krieges in der Ukraine verhängten EU- und US-Sanktionen hingegen haben eine völlig neue Qualität und orientieren sich an den Sanktionen gegen Iran. Sie zielen nicht nur darauf ab, die Einnahmen des russischen Staates für diesen Krieg massiv zu reduzieren, sondern auch Wirtschaftsakteure und die russische Bevölkerung zu treffen, damit diese ihrerseits Druck auf das Regime ausüben.

Mit Sanktionen gegen einzelne Personen werden inzwischen über tausend Entscheidungsträger in politischen und wirtschaftlichen Schlüsselpositionen sowie im Sicherheitsapparat getroffen, darunter Präsident Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow. Auslandsvermögen wurden eingefroren und die Reisefreiheit von Betroffenen eingeschränkt. Auch Angehörige der Duma und des Föderationsrats unterliegen solchen Sanktionen. Die Devisenreserven der russischen Zentralbank wurden zu knapp 50 Prozent eingefroren und westlichen Banken die Transaktionen mit ihr verboten. Dies bereitet trotz ausreichender Devisenreserven Probleme, Kredite zu bedienen. Wichtige russische Banken wurden in mehreren Sanktionswellen vom SWIFT-System abgekoppelt, was internationale Transaktionen für russische Unternehmen erschwert. Russische Fluggesellschaften wurden vom europäischen und US-Luftraum ausgeschlossen, ihre Flugzeuge werden nicht mehr gewartet und erhalten keine Ersatzteile mehr. Zudem wurden russische Energie- und Rüstungsfirmen sanktioniert, denen unter anderem keine Kredite mehr von westlichen Banken gegeben werden. Wichtige Technologien für Luft- und Schifffahrt sowie für die Rohstoffförderung und -verarbeitung unterliegen einem Exportstopp, was weit über das hinausgeht, was 2014 im Dual-Use-Bereich sanktioniert worden ist. Die EU hat einen Importstopp von russischem Öl und Ölprodukten beschlossen, jedoch mit Übergangsfristen für besonders betroffene Staaten und Ausnahmen für Pipeline-Lieferungen.

Sanktionen gegen Entscheidungseliten nur verknüpft mit Angeboten an die Gesellschaft

In autokratischen politischen Systemen, in denen Wahlen und Parlamente nominell existieren, können Sanktionen pluralistisch orientierte Akteure und Institutionen weiter schwächen. Gleichzeitig stärken sie vor allem diejenigen, die an Autarkie und Abschottung interessiert sind, allen voran Sicherheitsakteure. Unmittelbar befördern Sanktionen eine weitere Versicherheitlichung der Wirtschaft, was den Machtausbau des Sicherheitsapparats begünstigt. Nicht nur werden relevante (wirtschafts-)politische Entscheidungen noch stärker an der Spitze der jeweiligen politischen Systeme getroffen. Auch der Rückgriff auf klandestine Methoden zur Umgehung von Sanktionen stärkt die Bedeutung der Sicherheitsapparate.

In Iran avancierten insbesondere die Revolutionsgarden zum Krisengewinner. Sie spielen im Außenhandel eine zentrale Rolle, bei der Verschleierung von Erdölexporten ebenso wie beim Schmuggel von Importgütern. Schließlich konnten sie auch in der inländischen Wirtschaft ihre Position weiter ausbauen, indem sie Projekte übernahmen, die internationale Unternehmen zurückließen. Parallel hierzu bauten die Garden ihre politische Macht aus und schwächten, zusammen mit politischen Partnern aus den Reihen der Hardliner, die gewählten Institutionen der Islamischen Republik. 

Derweil litt besonders die iranische Mittelschicht unter den Sanktionen, mit unmittelbar negativen Folgen für die Zivilgesellschaft. Denn die Schwächung vergleichsweise moderaterer Kräfte im politischen System befähigte die Hardliner, noch rücksichtsloser gegen zivilgesellschaftliche Akteure und Protestierende vorzugehen. Auch die ökonomische Not setzte der Zivilgesellschaft zu. So verdoppelte sich im vergangenen Jahrzehnt die Armutsrate, vielen Bürgerinnen und Bürgern fehlen mittlerweile auch die Ressourcen für zivilgesellschaftliches Engagement – etwa da sie nunmehr dazu gezwungen sind, Zweitjobs nachzugehen oder Materialien unbezahlbar geworden sind. Weiterhin konnten aufgrund der Sanktionen lebenswichtige Medikamente nicht mehr importiert werden oder wurden für weite Teile der Bevölkerung unerschwinglich, was zu Todesopfern führte.

Mit der dritten Amtszeit von Wladimir Putin als Präsident 2012 und den Sanktionen seit 2014 ist eine Versicherheitlichung aller Bereiche des russischen Staates und der Gesellschaft zu beobachten. Dazu gehört das systematische Vorgehen gegen unabhängige Medien, die Opposition und zivilgesellschaftliche Organisationen sowie deren Finanzierung aus dem Ausland. Mit den Sanktionen 2014 wuchs die Abhängigkeit von staatlicher Finanzierung für private Unternehmen, gleichzeitig erhielten Militär und Geheimdienste mehr staatliche Ressourcen. Begründet wurde dies mit dem Ziel einer wirtschaftspolitischen Souveränität und Unabhängigkeit von westlicher Technologie sowie, insbesondere seit 2014, einer Verringerung der Verletzlichkeit gegenüber westlichen Sanktionen. Die Begrenzung der russischen Auslandsschulden auf unter 20 Prozent des BIP, das Anwachsen der Währungsreserven auf 550 Milliarden Euro bis zum Ausbruch des Krieges und eine konservative Ausgabenpolitik im Kontext der Covid-19-Pandemie dienten ebenfalls dazu, Russland weniger verletzlich für ausländische Einflussnahme zu machen. Die umfassende Kontrolle der Gesellschaft und des russischen Informationsraums hat sich mit dem Krieg weiter verschärft.

Der Grad, bis zu dem Sanktionen eine Zunahme von Repressionen befördern, ist unklar. Auch ohne westliche Sanktionen schränken autoritäre Regime den Spielraum für ihre Gesellschaften ein. Dennoch fehlen im aktuellen Umgang mit Russland, wie auch im Fall Iran, mittel- bis langfristige Angebote des Westens an die Gesellschaft, die Alternativen zu denen der autokratischen Staatsführung bieten. Durch massiven Sanktionsdruck, die Unterbrechung von kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen sowie die Einschränkung der Reisemöglichkeiten werden auch dem Teil der russischen Gesellschaft Austauschmöglichkeiten genommen, der den Krieg ablehnt. Hier mittel- bis langfristig alternative Entwicklungsmöglichkeiten anzubieten, sollte ein Vorgehen neben den Sanktionen sein. Dies könnte besonders bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation Wirkung zeigen.

Sanktionen können nur in Kombination mit anderen Instrumenten einen Kurswechsel bewirken

Umfassende Sanktionsregime werden typischerweise bei Anlässen von strategischer Bedeutung verhängt (Irans Nuklearprogramm, Russlands Ukraine-Invasion). Sanktionierte Staaten wägen dabei Kosten und Nutzen ab, denken den Nutzen dabei jedoch deutlich breiter als nur ökonomisch, da politische Ziele wie Machterhalt im Vordergrund stehen.

In Iran streitet die politische Führung bis heute entschieden ab, eine Atombombe entwickeln zu wollen. Viel spricht jedoch dafür, dass die Regierenden zumindest eine Nuklearwaffenfähigkeit erreichen möchten. Diese könnte Iran befähigen, angesichts deutlicher Unterlegenheit bei den konventionellen Streitkräften, im Zusammenspiel mit einem elaborierten Raketenprogramm und verbündeten Milizen, potenzielle Gegner auf regionaler Ebene asymmetrisch abzuschrecken und die eigene Machtposition auszubauen. Für weite Teile der politischen Führung in Teheran ist dies bedeutsamer als wirtschaftliche Prosperität. Zudem sind viele in Irans politischer Klasse überzeugt, den USA gehe es nicht um das Atomabkommen, sondern um einen Regimewechsel. In jedem Fall wurde das Atomprogramm zu einer Angelegenheit des nationalen Prestiges. Insgesamt rückt Iran bis heute, trotz massiver wirtschaftlicher Schäden aufgrund der Sanktionen, nicht vom Nuklearprogramm ab.

In der Ukraine kämpft Russland in den Augen der russischen Führung um einen vitalen Einflussraum und führt einen Stellvertreterkrieg gegen die USA. Auch wenn nicht immer unterschieden werden kann, was aus russischer Sicht tatsächlich als Bedrohung wahrgenommen wird und was Propaganda ist, so hat der Kreml seit 2014 weiter an Einfluss auf die Ukraine verloren und sich die Eskalationsdominanz Russlands aufgrund der Modernisierung der ukrainischen Armee mit westlicher Unterstützung verringert. Aus historischen, geo- und machtpolitischen Gründen möchte Putin die Ukraine wieder unter russische Kontrolle bringen und spricht ihr sogar das staatliche Existenzrecht ab. Diesen übergeordneten Zielen werden wirtschaftliche Interessen untergeordnet und es ist davon auszugehen, dass die ökonomischen Kosten für das Regime von sekundärer Bedeutung sind. Auch deshalb ergibt es Sinn, die Wirtschaftssanktionen mit wirksamen Militärhilfen für die Ukraine zu verbinden, da ein militärisches Scheitern Russlands in der Ukraine Präsident Putin auch politisch unter Druck setzen würde. Nur die Kombination aus militärischen Misserfolgen und hohem wirtschaftlichen Druck kann das Regime Putin dauerhaft schwächen. Gleichzeitig braucht es Angebote an den Teil der Elite und Gesellschaft, der nicht in einem isolierten, autoritären Staat leben möchte. Die Alternativlosigkeit durch wenig zielgenaue, in der Praxis schwer zurückzunehmende Sanktionen wie in Iran, führt letztlich zu Apathie und Anpassung. Damit sinkt der interne Druck auf das Regime für einen Politikwechsel.

Sanktionen wirken in beide Richtungen – und müssen deshalb langfristig durchhaltbar sein

Staaten, die Sanktionen verhängen, erleiden in der Regel selbst einen wirtschaftlichen Schaden, nicht zuletzt durch den rückläufigen Außenhandel mit dem sanktionierten Land. Dieses dürfte darum bemüht sein, den Preis für die Sanktionen in die Höhe zu treiben und sie sowohl wirtschaftlich als auch geostrategisch möglichst unattraktiv zu machen. Das kann durch Maßnahmen erfolgen, die sich direkt gegen die sanktionierenden Staaten richten, aber auch auf indirektem Weg, etwa gegen Verbündete. Iran bemüht sich beispielsweise, einen Nexus zwischen den Sanktionen, nuklearer Nichtverbreitung und regionaler Sicherheit zu schaffen. So hat die Führung in Teheran sukzessive zentrale Beschränkungen aus dem Atomabkommen verletzt und zusammen mit verbündeten Milizen wiederholt Anschläge auf Öl-Tanker in Gewässern der Vereinigten Arabischen Emirate, auf Ölfelder in Saudi-Arabien sowie auf US-Truppen im Irak verübt.

Russland hat im aktuellen Konflikt Gegensanktionen erlassen, etwa Einreisebeschränkung für Personen aus den USA und der EU verhängt und damit gedroht, Eigentum westlicher Firmen zu verstaatlichen. Zum Schutz der eigenen Wirtschaft hat es rund 200 Produkte für den Export verboten, darunter Holz, Landwirtschaftsprodukte und technische Ausstattung. Unter anderem Bulgarien, Dänemark, Finnland, die Niederlande und Polen erhalten kein Gas mehr, da sie der Forderung, in Rubel zu zahlen, nicht nachgekommen sind. Insgesamt treffen Sanktionen im Energiebereich beide Seiten schwer, wenngleich Russland tendenziell abhängiger von Exporterlösen ist als westliche Staaten vom Import – mit einer wichtigen Ausnahme: Erdgas. Dieses ließe sich nur schwer so kurzfristig und in den benötigten Mengen mit Flüssiggas auf dem Weltmarkt ersetzen. Betroffen wären insbesondere Deutschland, Italien und Österreich. Während Deutschland 2021 noch 55 Prozent seines Gases aus Russland bezogen hat, reduzierte es die Menge nach dem Angriff auf die Ukraine auf 35 Prozent. Vor allem durch den Kauf von Flüssiggas soll bis Sommer 2024 der Umfang weiter auf 10 Prozent gesenkt werden. Umfassende Sanktionen auf bestimmte Rohstoffe führen zu erheblichen Preissteigerungen auf den Weltmärkten. Ein geplanter Ölimportstopp hätte vor allem wirtschaftliche Auswirkungen auf die Slowakei, Tschechien und Ungarn und wurde mittels eines ungarischen Vetos durch einen Kompromiss massiv abgeschwächt. 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Länder die sozialen und wirtschaftlichen Kosten der von ihnen erlassenen Sanktionen langfristig so gestalten müssen, dass sie mit ihren Auswirkungen leben können und gesellschaftliche Unterstützung dafür erhalten bleibt. Schließlich braucht es eine grundlegende Strategie gegenüber autoritären Staaten, Abhängigkeiten (nicht nur) bei der Energieversorgung präventiv abzubauen.

Sanktionen können auch unbeteiligten Dritten schaden

Wenn sanktionierte Staaten in bestimmten Bereichen besonders relevant sind, können sich Sanktionen auch auf die Weltwirtschaft auswirken. Dies ist etwa der Fall, wenn Lieferketten komplexer werden, weil sanktionierte Staaten umgangen werden müssen oder Transaktionskosten aufgrund der Nutzung alternativer Zahlungswege zunehmen. Auch können Preise steigen, weil im Zusammenhang mit Sanktionen das Angebot für Dienstleistungen (z.B. bei der Logistik) und Rohstoffe (z.B. Getreide) abnimmt. Um Druck auf die sanktionierenden Länder auszuüben, können sanktionierte Staaten auch bewusst Lieferungen verzögern oder einstellen.

Bei den Sanktionen gegen Iran sind diese Effekte vergleichsweise moderat. Im Zuge der Sanktionierung Irans durch die EU und USA im Jahr 2012 beziehungsweise der Wiedersanktionierung durch die USA 2018 stieg die Volatilität auf den Rohölmärkten jeweils kurzfristig an, verbunden mit leichten Preisanstiegen. Die Sanktionen gegen Iran haben auch Infrastrukturprojekte ausgebremst, etwa den Ausbau des iranischen Hafens Tschahbahar, über den Indien unter Umgehung Pakistans eine Handelsroute nach Afghanistan und Zentralasien ausbauen wollte.

Die russische Aggression gegen die Ukraine hat massive Auswirkungen auf die bereits zuvor angespannte Versorgungslage der globalen Nahrungsmittelmärkte, da die Ukraine mit 11,5 Prozent der weltweiten Weizenproduktion sowie Russland wichtige Lieferanten für Getreide und andere Nahrungsmittelrohstoffe sind. Das betrifft vor allem arme Länder, die höhere Preise nicht zahlen können und kann zu Hunger und neuen Migrationsbewegungen führen. Gleichzeitig erhöhen sich weltweit die Preise für Transport und Lebensmittel auch aufgrund der hohen Energie- und Benzinpreise. Während westliche Sanktionen hier unmittelbar geringe Auswirkungen haben, kommen die Verwüstungen durch den Krieg und die Unterbrechung von Lieferketten zum Tragen. So können Felder in der Ukraine nicht bestellt werden, da es an Treibstoff für die Landwirtschaft und an Arbeitskräften fehlt. In Reaktion auf die Sanktionen und die westliche Unterstützung der Ukraine hat Russland schließlich selbst den Export von Getreide beschränkt, um die eigene Versorgung abzusichern. Zudem hat es hunderte Schiffe im Schwarzen Meer festgesetzt, die Getreide exportieren wollen, um die Ukraine ökonomisch zu schwächen und Druck auf die globalen Märkte auszuüben. Diese Erpressung bedroht die Unterstützung des globalen Südens für die westlichen Sanktionen gegen Russland.

Sanktionen müssen auf ihre kurz-, mittel- bis langfristige Wirkung überprüft und entsprechend angepasst werden

Die Wirkung von Sanktionen entfaltet sich in der Regel erst nach einiger Zeit. Während die Abwicklung von Geschäftsbeziehungen eine gewisse Zeit braucht, können sanktionierte Staaten zunächst den Ausfall von Handel und Deviseneinnahmen kompensieren. Die volle Wucht von Sanktionen trifft sie typischerweise erst nach Monaten. Dauert die Situation weiter an, stellen betroffene Staaten ihre Produktion und Handelsbeziehungen strukturell um, womit Sanktionen graduell an Durchschlagskraft verlieren.

Die iranische Wirtschaft zum Beispiel wurde von Sanktionen in eine schwere Rezession gestürzt. Als Reaktion bemühte sich die Führung in Teheran darum, die Wertschöpfungskette des Energiesektors auszubauen, die Wirtschaft weiter zu diversifizieren und schließlich den Handel neu zu ordnen, weg von Rohölexporten per Schiff in ferne Länder hin zur Ausfuhr verarbeiteter Güter auf dem Landweg in die Nachbarschaft. Infolge dieser Bemühungen wächst das iranische Bruttoinlandsprodukt bereits seit Mitte 2020, rund zwei Jahre nach dem US-Ausstieg aus dem Atomabkommen, wieder. Dieses Wachstum ist zwar deutlich zu gering, um den Schaden der Sanktionen auszugleichen oder die wirtschaftlichen Erwartungen der Bevölkerung zu erfüllen. Dennoch verändert es den Blick der Staatsführung auf die Sanktionen. Denn in dem Maße, in dem die Wirtschaft auch mit Sanktionen wächst, wiegen die von Iran geforderten Konzessionen umso schwerer. Die Machthaber in Teheran akzeptieren den durch die Sanktionen entstandenen Schaden als Anpassungskosten.

Ein Blick nach Russland lässt ebenso Schlüsse auf die Wirkung von Sanktionen ziehen. Nach dem Erlass der ersten Sanktionen kam es kurzfristig zu einem massiven Wertverfall des russischen Rubels, die russische Börse wurde zwischenzeitlich geschlossen und viele Russinnen und Russen haben Geld in westliche Währungen getauscht. Doch nach dem ersten Schock hat sich die russische Wirtschaft wieder stabilisiert, indem die Zentralbank die Zinsen auf über 20 Prozent angehoben und strenge Kapitalkontrollen eingeführt hat. Verbunden mit den enormen Einnahmen aus dem fortlaufenden Verkauf von Rohstoffen (allein 62 Milliarden Euro in den ersten beiden Kriegsmonaten) konnten das Budget und der Rubel stabilisiert und die direkten ökonomischen Konsequenzen abgefedert werden. Mittelfristig werden die Isolation der russischen Wirtschaft, die Sanktionierung von (Hoch-)Technologie, aber auch fehlende Bauteile für die nationale Produktion die russische Wirtschaft zurückwerfen und es unmöglich machen, bestimmte Produkte für Maschinen-, Automobilbau und Rüstung zu produzieren. Langfristig ist davon auszugehen, dass die russische Wirtschaft sich auf einem niedrigeren Niveau anpassen wird. Die Verstaatlichung bestimmter Unternehmen und der Weiterbetrieb einer Reihe von westlichen Firmen sind Anzeichen dafür. Auch wenn diese Entwicklungen zu massiven Einkommens- und Wohlstandsverlusten führen werden, weist aktuell vieles darauf hin, dass die russische Führung diese akzeptieren wird.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Im letzten Jahrzehnt wurden Sanktionen zu einem zentralen Instrument US-amerikanischer und europäischer Außen- und Sicherheitspolitik. Obwohl Russland (noch) nicht so stark sanktioniert wurde wie Iran, zeichnet sich ab, was zuvor bereits in Iran deutlich wurde: Sanktionen führen nicht zwangsläufig zu einem grundlegenden und nachhaltigen Kurswechsel des sanktionierten Landes, da Kosten und Nutzen meist einer anderen Kalkulation als derjenigen der sanktionierenden, in den genannten Fällen der westlichen Staaten unterliegen.

Das bedeutet keineswegs, dass Sanktionen als Druckmittel abgelehnt werden sollen. Im Gegenteil: Sanktionen können ein mächtiges Instrument sein, um Politikveränderungen herbeizuführen und die eigene Verhandlungsposition zu stärken. Doch dafür müssen sie gezielt und nachhaltig eingesetzt sowie mit anderen Maßnahmen kombiniert werden.

Für die Sanktionspolitik gegenüber Russland bedeutet dies:

  • Wirtschaftliche Sanktionen allein werden (kurzfristig) nicht dazu führen, dass Russland seine Politik gegenüber der Ukraine ändert. Nur die Kombination mit weiteren Instrumenten wie der Lieferung von Waffen an die Ukraine und der langfristigen Stärkung ihrer Verteidigungsfähigkeit könnte mittel- bis langfristig Einfluss auf den Kriegsverlauf und den Handlungsspielraum der russischen Führung haben.
  • Sanktionspolitik muss klare Ziele verfolgen und kann nicht lediglich abstrakt strafen wollen. Hierzu müssen die Sanktionen skalierbar sein: Um tatsächlich einen Politikwechsel herbeizuführen, muss belastbar in Aussicht gestellt werden, dass Sanktionen zurückgenommen werden können.
  • Es sollten nur Sanktionen erlassen werden, die über einen längeren Zeitraum durchzuhalten sind. Im Gegensatz zu Iran sind im Fall Russlands die ökonomischen Kosten für eine Reihe von sanktionierenden Staaten enorm und können nur mittelfristig durch Alternativen ersetzt werden. Erfolgen Strafmaßnahmen zu schnell, auch mit der (falschen) Annahme, dass der betroffene Staat nachgibt, kann es durch massive ökonomische Folgen zu sozialen Spannungen und einer Legitimationskrise in den sanktionierenden Staaten kommen.
  • Die russische Gesellschaft darf nicht vollständig isoliert werden. Stattdessen sollten die Brücken zu prodemokratischen, regimekritischen Kräften im Land aufrechterhalten werden, etwa durch akademischen und zivilgesellschaftlichen Austausch. Eine komplette wirtschaftliche Isolation im Hinblick auf bestimmte Technologien und das Finanzsystem würde zudem westlichen Staaten Einflussmöglichkeiten nehmen.
  • Die globalen Kollateralschäden des Krieges (z.B. Anstieg von Getreide- und Lebensmittelpreisen, Energie- und Transportkosten) in der Ukraine und der Sanktionen (z.B. Anstieg der Preise von Öl und Gas) müssen bedacht und soweit möglich abgefedert werden, um nicht die Unterstützung unbeteiligter Drittstaaten weltweit zu verlieren. Dasselbe gilt für Faktoren wie Migration oder Instabilität in anderen Teilen der Welt, die ebenfalls einkalkuliert werden müssen.

 

 

Bibliografische Angaben

Meister, Stefan, and David Jalilvand. “Sanktionen gegen Russland .” German Council on Foreign Relations. June 2022.

DGAP Policy Brief Nr. 17, 8. Juni 2022, 9 S.

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